Ich bin dann mal weg - Martin’s Pilgerblog

Ich bin dann mal weg – pilgern ist wie leben im Zeitraffer . . .

 

Auf meinen Pilgerreisen bin ich völlig frei – in meinen Entscheidungen, im Kopf und überhaupt. Ein wunderbares Gefühl! Niemand will etwas von dir, mit keinem musst du dich abstimmen, du hast deine Ruhe, kannst nachdenken, oder auch nicht, und gehst deines Weges. Schritt für Schritt, Stunde um Stunde, Tag für Tag. Wenn du pilgerst, lebst du ganz im Hier und Jetzt – die grundlegenden, elementaren Fragen sind vordergründig wichtig. Gleichzeitig öffnet das Nichts-Müssen und Nichts-Tun, ausser laufen, essen, schlafen, einen neuen Raum. Einen Raum für Unerwartetes, für bisher Unbekanntes, für deine Seele. Das zu erleben bedeutet höchstes Lebensglück durch (Mensch) SEIN!

 

Ich bin dann mal weg!

Inspiriert durch Hape Kerkeling und dem Titel seines bekannten Buches zum Jakobsweg machte ich mich 2007 erstmals auf den Jakobsweg. Ich wollte das einfach mal probieren und schauen, ob das Pilgern etwas für mich ist. Ich startete damals in Nürnberg Erlenstegen von meinem Geburtshaus los und lief die ersten 250 KM bis nach Schwäbisch-Hall. Es hat mir so gut gefallen, dass ich seither immer mal wieder eine Etappe von 200-300 KM in Richtung Santiago de Compostela laufe. Nicht jedes Jahr, aber immer dann, wenn es die Zeit erlaubt. Inzwischen bin ich in Seyssel, ca. 50 KM südlich von Genf angekommen, wo ich 2016 meine letzte Etappe abgeschlossen habe. Dieses Jahr ist es endlich wieder so weit und ich darf mich auf eine weitere Pilgeretappe freuen. Dieses Jahr, im Corona-Jahr 2020, möchte ich mich auf den Weg von Seyssel nach Le Puy-en-Velay machen. Dafür habe ich mir 17 Tage Zeit eingeplant – ein anspruchsvoller Zeitrahmen für die ca. 300 KM. Da darf nicht viel dazwischen kommen, wenn ich spätestens am 24. August am Ziel sein will! Auch wenn ich das Ziel habe, es zu schaffen, bietet mir die Freiheit des Pilgerns gleichzeitig die Gelassenheit, in dem mir eigenen Rhythmus voranzugehen – ohne Druck und ohne Stress. Falls ich es dann doch nicht ganz nach Le Puy schaffe, dann ist das auch ok. Hauptsache es gibt einen Bahnhof, um von dort aus die Rückreise antreten zu können!

Pilgern ist nicht wandern

Aber jetzt geht es erst einmal voran – jetzt will ich nicht daran denken, was alles schief gehen kann. Vielmehr schaue ich hoffnungsvoll nach vorne und freue mich auf die Reise. Vielleicht fragst du dich, ob pilgern nicht das Gleiche ist, wie wandern über mehrere Tage hinweg?

Für mich ist es ganz und gar nicht das Gleiche. Mal vom spirituellen Aspekt abgesehen ist das Pilgern für mich eine bewusste Zeit nur für mich. Eine Reise mit und zu mir selbst. Vor einigen Jahren kam mir unterwegs der Gedanke: « Pilgern ist wie leben im Zeitraffer ». Du gehst immer nur voran – nie zurück. Manchmal ist es mühsam und anstrengend. Du kannst oder magst nicht mehr weiter. Dann wieder gibt es Abschnitte, die laufen wie von selbst, sind wunderschön und sollten am liebsten nie zu Ende gehen. Dann wieder hast du Weggefährten, die dich ein Stück des Weges begleiten. Wenn ein wichtiger Abschnitt abgeschlossen ist, drehst du dich vielleicht noch einmal um, hältst inne, dankst für alles Gewesene, vergibst dir und anderen all das, was nicht so toll gelaufen ist  – und gehst dann weiter. 

Während wandern am schönsten in Gesellschaft ist, in der man sich unterhalten kann, schöne Eindrücke gemeinsam geniesst und miteinander Spass hat, ist für mich pilgern nur alleine möglich. Nur wenn ich ganz allein auf mich selbst gestellt, auf mich selbst zurückgeworfen bin, eine ganze Zeit lang, Stunden, vielleicht sogar Tage, vor mich hinlaufe und die Gedanken immer ruhiger, immer freier werden. Dann kann ich die (spirituelle) Tiefe erleben, in der sich mein Herz öffnen kann, dann bin ich empfindsam für mich selbst, meine Bedürfnisse und Wünsche, meine Sehnsüchte und Verletzungen. Dann kann Heilung geschehen – dann kann ich Gott begegnen…

Etappe 2020: Seyssel - Le Puy-en-Velay

Vom 8. bis 24. August habe ich mir die knapp 300 KM lange Strecke von Seyssel nach Le Puy-en-Velay vorgebnommen. Wer mich auf meinem Weg begleiten möchte, gelangt hier zu meinem Pilgerblog:  https://bit.ly/PilgerBlog2020

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