Am Montag, spätestens Dienstag, den 24. März 2020 war es so weit: Alle Schulen, Kindergärten und sonstige Bildungseinrichtungen wurden bis auf weiteres geschlossen. Eine Woche später wurde die Freizügigkeit der Bürger in Deutschland und vielen anderen europäischen Ländern drastisch eingeschränkt – nichts geht mehr! Eine verrückte, surreale Situation entsteht. Plötzlich bist du zuhause mit deinen Lieben und darfst nur noch mit ihnen, zu zweit und mit mindestens 1,5 – besser noch 2 – Metern Abstand ins Freie. Die Menschen sind aufgefordert, nur noch unvermeidliche Gänge wie Arzt- und Apothekenbesuche sowie das Einkaufen zu erledigen und ansonsten zu Hause zu bleiben (#StayAtHome).
In der Krise sind wir gleicher als sonst
So verrückt das klingt, geht es um die Erfüllung elementarer Grundbedürfnisse wie Freiheit und die Versorgung mit lebensnotwendigen Dingen, wie Toilettenpapier und Nudeln, dann gibt es kaum Unterschiede zwischen Unternehmern, Führungskräften und Angestellten. Dies zeigt einmal mehr die universelle Kraft von Bedürfnissen und negativer Gefühle, wenn elementare Bedürfnisse nicht erfüllt sind. Das Spannende dabei ist, dass dies auf alle Bedürfnisse der Maslowschen Bedürfnispyramide zutrifft, also auch auf diejenigen, die sich im oberen Bereich befinden, wie Anerkennung, Selbstverwirklichung, Wirksamkeit und Sinn, um nur einige zu nennen.
Schauen wir uns die Bedürfnispyramide etwas genauer an. Hierzu erlaube ich mir eine Anleihe bei Prof. Dr. Volker Nürnberg, BDO, zu machen, die ich auf Twitter gefunden habe: Neben den aus aktuellem Anlass und sicher nicht ganz ernst gemeinten Ergänzungen WLAN, Akku, Nudeln und Toilettenpapier im unteren Bereich, lohnt es sich den Blick nach oben zu richten! Auf welcher Ebene liegen eigentlich die Bedürfnisse, die typischerweise am Arbeitsplatz erfüllt werden – oder eben auch nicht?
- Selbstvertrauen
- Zuversicht
- Erfolg
Wer das Verbindende sucht, fragt nach Bedürfnissen
Auf die Frage, was er glaubt, zu welchem Menschentyp er denn gehöre, kam wie aus der Pistole geschossen: “Y natürlich!”. War ja klar. Übrigens, wenn ich diese Frage im Rahmen meiner Vorträge und Workshops stelle, antworten 99% aller Anwesenden wie Karl! Die nächste Frage an Karl lautete. “Kennst du jemanden, der vom Typ X ist?”. Oh ja, er kannte reichlich Xer – viele auch in seinem Unternehmen. Und genau so ist das Bild auch, wenn ich in die Runde frage: Ungefähr ein Drittel meiner Zuhörer geben an, dass sie Xer kennen, selbst aber keine sind. Wie kann das sein? Selbst- vs. Fremdwahrnehmung? Sicher. Bemerkenswert jedoch ist in diesem Zusammenhang die Antwort, die ich oft von denjenigen höre, die angeben, ein Xer zu sein. Sie sagen nämlich, dass sie – abhängig von einer Situation, in der sie sich befinden – sich mal als Xer, mal als Yer wahrnehmen. Ist das Umfeld von Vertrauen, Wertschätzung und Gleichwertigkeit geprägt, z.B. zuhause, oder im Verein, dann bringe ich mich gerne ein, dann habe ich Lust mich einzubringen und ich traue mich, ich selbst zu sein und mich auch so zu zeigen wie ich bin – unabhängig davon, wie es mir gerade geht. Dann bin ich ein Y-Typ. Wenn ich andererseits in eine Umgebung komme, die von Kontrollsucht, Missgunst und Konkurrenzkampf geprägt ist, dann gehe ich erstmal in Deckung. Dann mache ich das, was ich soll und nicht mehr, dann bin ich ruhig und versuche möglichst nicht anzuecken, weil ich Angst vor Zurückweisung, Tadel oder Ausgrenzung habe. Dann mache ich “Dienst nach Vorschrift”, dann bin ich ein 9-5er, dann bin ich ein X-Typ.
Es kommt also auf den Kontext, auf das System, an, in dem sich Menschen bewegen und ob sie sich wohl, ermutigt und angenommen fühlen. Ob sie sich gesehen und wahrgenommen fühlen, in ihren guten Absichten und in dem, was sie zum Erfolg eines Projekts beitragen. Und ob sie sich im Gegenzug, wie selbstverständlich, gern mit ihren Ideen, ihrem Wissen und ihrer Zeit für ein Unternehmen oder ein Team engagieren. Dann sind sie auch bereit die berühmte Extrameile zu gehen.
Als Karl erkannt hat, wie sehr seine Einstellung zu seinen Leuten sein Denken, Reden und Handeln beeinflusst, war er lange sehr nachdenklich und still. Dann sagte er: “Wow – das ist mal ein interessanter Blickwinkel! Ich bin nicht sicher, ob ich dem voll und ganz folgen kann, aber ich habe Lust es auszuprobieren!” Wie Karls Eigenversuch verlaufen ist und zu welchen Erkenntnissen und Ergebnissen ihn das gebracht hat, ist eine andere Geschichte, die in einem der nächsten Artikel erzählt wird.
Menschen ermutigen und aktivieren statt sie motivieren zu wollen
Acht goldene Regeln empathischer Führung
1. Hast du ein X- oder Y-Team? Die Entscheidung liegt bei dir!
2. Mach’ zu Beginn eine Check-In-Runde
- Wie geht es mir gerade? (Gefühle)
- Wie bin ich hier angekommen? (Situation)
- Was brauche ich? (Bedürfnisse)
3. Schaffe Gleichwertigkeit indem du Betroffene zu Beteiligten machst
- Jede Stimme wird gehört
- Jede Meinung hat den gleichen Wert
- Entscheidungen werden gemeinsam getroffen, soweit es möglich ist
Um Meetings dabei möglichst konstruktiv, kurzweilig und zielführend zu gestalten, hat sich die W.A.I.T.-Methode nach Tom Barrett bewährt. W.A.I.T = Why Am I Talking?
- Habe ich etwas wirklich Wichtiges zu sagen?
- Ist jetzt der richtige Zeitpunkt es anzusprechen?
- Ich habe einen Beitrag zum Thema, um das es gerade geht
- Habe ich das Wort?
- Hat jemand das was ich sagen will, schon einmal – vielleicht mit anderen Worten – gesagt?
4. Sei offen und lade zur Reflexion ein, wenn es Widerstände gibt
Wenn die Stimmung angespannt ist, das Team im Call nicht bei der Sache zu sein scheint oder jemand Kritik übt, dann ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass Dinge unter der Wasseroberfläche, im Unterbewussten oder gar Unbewussten so stark sind, dass diese erst gehört und gewürdigt werden wollen, bevor ein konstruktives Weiterarbeiten möglich ist. In diesem Fall hilft es, den Fokus zunächst vom Thema und Ziel wegzunehmen und offen zur Sprache bringen, dass du wahrnimmst, das etwas nicht stimmt (Metaebene). Dabei ist wichtig, dass niemand im Kreis den Eindruck hat, es stimme etwas nicht mit ihm oder ihr! Es geht vielmehr um die Arbeitsatmosphäre im Meeting und die Wahrnehmung, dass gerade ein fokussiertes Arbeiten nicht möglich ist. Es spricht für eine bereits fortgeschrittene Teamkultur, wenn nicht nur der Chef, sondern jede/r im Team einen solche Unterbrechung des Meetings einleiten kann, ohne Angst haben zu müssen, in die Schranken verwiesen zu werden, indem er oder sie z.B. sagt: “Ich habe den Eindruck, es gibt etwas, das uns gerade blockiert. Gibt es vielleicht einen “Elefanten im Raum”, den alle sehen und keiner traut sich, ihn beim Namen zu nennen”? PAUSE, WARTEN, Zeit lassen zum Überlegen, Reflektieren und sich trauen etwas dazu zu sagen. Gerade Chefs mit Macher-Mentalität tun sich extrem schwer, eine längere Stille, nachdenkliches Schweigen o.ä. über einen gewissen Zeitraum auszuhalten. Ich kann dazu nur Mut machen – und versprechen: In den meisten Fällen wird die Geduld reichlich belohnt!
5. Kopfkino aus - Der Moment der Wahrheit
6. Hole Bedenkenträger und Zauderinnen empathisch an Bord
7. Zeig’ dich - Erzähle offen wie es dir geht und was du brauchst
- Erkläre, dass du einen neuen Arbeits- und Kommunikationsstil einüben möchtest, der für mehr Effizienz und Freude bei der Arbeit sorgen wird und frage dein Team, wie sie das finden und ob sie bereit sind, dich dabei zu unterstützen
- Wenn du den Eindruck hast, einzelne Teammitglieder nehmen dich nicht (mehr) ernst oder lassen den nötigen Respekt vermissen, dann kannst du auch darauf mit einem persönlichen empathischen Gespräch reagieren: “Mir ist aufgefallen, dass … Das löst bei mir …. aus. Mir sind …. wichtig. Wie geht es dir, wenn du mich das sagen hörst? Was brauchst du, um …?”
8. Schließe mit einer Check-Out-Runde ab
- Mir geht es…. Ich bin … (Gefühl)
- Besonders gut hat mir … gefallen (würdigen/feiern)
- Mir hat gefehlt … (Bedürfnisse)
- Was ich mir für die Zukunft wünsche … (Bitten an mich, die Gruppe oder den Moderator)
Emotionale Führung als Hebel für mehr Freude und Produktivität im Team
Nach dem Eisbergmodell von Sigmund Freud funktionieren wir Menschen zu ca. 15% sachlich rational und zu 85% emotional. Führung, die nur auf die fachlich rationalen Ebene abzielt, also nur über Zahlen, Daten, Fakten (ZDF) spricht und argumentiert, erreicht die Menschen – wenn überhaupt – nur zu einem Bruchteil. Die meisten von uns fühlen uns „irgendwie nicht angesprochen“ – Menschen, die uns auf diesem Wege versuchen, etwas klarzumachen, etwas zu vermitteln, oder uns dazu zu bringen, dass wir ihnen folgen, erreichen uns nicht wirklich. Es lässt uns kalt – wir sind und bleiben uninspiriert. Ganz anders, wenn jemand uns „emotional erwischt“, wenn es es schafft, vor unserem geistigen Auge Bilder der Sehnsucht entstehen zu lassen. Wenn wir uns plötzlich eine neue, strahlende Zukunft vorstellen können, die wir gemeinsam mit dieser Person erreichen können. Dann möchten wir diesen Menschen unterstützen, wollen mit ihm gehen und auch dabei sein, wenn er die beschriebenen Sehnsuchtsziele und -orte erreicht. Ohne lange zu überlegen, folgen wir dieser charismatischen Persönlichkeit. Das passiert, wenn es Führungskräften gelingt, uns nicht nur sachlich, sondern auch emotional anzusprechen. Der bekannte Management Berater Reinhard Sprenger sagt: „Wenn du führst und keiner folgt dir, ist es nur ein Spaziergang!“.
Stell‘ dir vor, du könntest nur 15 oder gar 30% der emotionalen Seite deiner Leute ansprechen – dann hätte sich die Wirksamkeit deiner Führung bereits verdoppelt oder gar verdreifacht! Wie hört sich das für dich an? Was würde das für deine (Führungs-)Arbeit und deren Ergebnisse bedeuten? Wieviel mehr Freude und Erfolg würdest du erleben können?
Noch ein Hinweis: Die genannten Punkte stellen keinesfalls einen Ersatz der bekannten Erfolgsfaktoren erfolgreicher Meetings (Vorbereitung, Zeitmanagement, Ergebnissicherung etc.) dar. Vielmehr ist es als Einladung zu verstehen, neben den sachlich-faktischen Dingen auch die emotionalen Einflussfaktoren für echt erfolgreiche Meetings zu berücksichtigen und auszuprobieren. Auf dass du mit deinem Team mit noch mehr Freude deutlich produktiver werden kannst. Ich freue mich auf deine Erfahrungen und Erkenntnisse!